Bauten: Handelshaus /Tuchscherergasse

Das Handelshaus an der ehemaligen Tuchscherergasse (Enge Gasse 33)

Das Handelshaus an der ehemaligen Tuchscherergasse (Enge Gasse 33)Der älteste Teil der Steyrer Innenstadt ist die "Burguntersiedlung" zu beiden Seiten der Engen Gasse. An der Bergseite derselben hatten einst Dienstmannen der in der Styraburg residierenden Otakare Gründe und Wohnhäuser. In diesem, wahrscheinlich gegen Süden von einer inneren und einer äußeren Stadtmauer umgürteten Raume erbauten auch Kaufleute ihre Gewölbe, Handwerker ihre Werkstätten. Heute bildet den südlichen Abschluss der "Urstadt" das mächtige Handelshaus an der einstigen Tuchscherergasse. Diese Bezeichnung verdankte der schmale Durchgang den im 18. Jahrhundert in dem angrenzenden Hause Stadtplatz Nr. 1 arbeitenden Tuchscherern. Es waren Handwerker, die sich mit der Reinigung und Glättung bestimmter Gewebe (z.B. Barchent) befassten.

Das vom Stadtplatz zur Enns führende Stufengässchen (Untere Kai-Gasse) überspannen sechs malerische, zum Teil noch aus dem Mittelalter stammende Stützbogen.

Charakteristisch für das Gebäude ist der gegen den Stadtplatz zu turmartige, auf einem Pfeiler aufsitzende runde Eckerker. Er ist mit einem Dachhelm versehen und in die Dachzone hochgeführt. Überaus reizvoll sind der zierliche Stuckdekor und die reichgeschwungenen Fensterverdachungen der beiden Fassaden. Die Barockisierung des im Kern gotischen Kaufmannshauses erfolgte jedenfalls anlässlich des Wiederaufbaues nach seiner Zerstörung durch den gewaltigen Stadtbrand am 29. August 1727.

Die heute Heinrich Tulzer und vor ihm Rudolf Haslinger gehörige Liegenschaft besaßen in früheren Jahrhunderten die Handelsleute Hans Schwarz (um 1543), Köberer Paul und Hans (um 1567 bis ca.-1635), Georg Siegmund Paradeiser (um 1636), Christoph Stürmer (um 1650), Nieß Jakob (um 1660), die Familien Willensperger (l670 - 1756), Reyel (1756- 1779), Dietmair (1787 1818) u. a.

Von diesen Eigentümern war Michael Willensperger in der Zeit von 1691 bis 1693 Stadtrichter, Franz Joseph Willensperger von 1740 bis 1747 Bürgermeister. Zu Anfang seiner Amtszeit kam der Österreichische Erbfolgekrieg (1741 - 1748) zum Ausbruch. Im September 1741 drangen bayrische und französische Truppen in Oberösterreich ein und besetzten Linz. Hier nahm der bayrische Kurfürst Karl Albert die Huldigung entgegen. Nach Steyr kamen am 18. September 60 feindliche Dragoner und 600 Mann zu Fuß, am 7. November zweitausend Franzosen. Deren Kommandant Oberst Prinz Tingry verlangte von der Bürgerschaft die Ablieferung der Waffen, ließ Stadttore zumauern und am linken Ennsufer 24 Kanonen aufstellen. Etwa viertausend bayrische Soldaten lösten im Dezember die in der Stadt liegenden französischen Truppen ab. Aber schon am 31. Dezember zwangen österreichische Heeresverbände unter Graf Ludwig von Khevenhüller die Fremdensoldaten zur Räumung der Stadt. Diese Ereignisse stürzten die Eisenstadt in eine schwere Wirtschaftskrise. Im Jahre 1746 schuldete Steyr an Steuern und Gefällen einen Betrag von über 37.000 Gulden.

In der Biedermeierzeit, etwa hundert Jahre nach dem erwähnten Stadtbrand, wurde am 21. Juni 1824 die Stadt abermals von einer großen Feuersbrunst heimgesucht, die auch in der Enge wieder einen beträchtlichen Gebäudebestand verwüstete. Da aber damals unser Haus keine schweren Schäden erlitt, blieben die schönen Fassaden bis heute erhalten.

Dr. Josef Ofner

(Dehio, Oberösterreich, 1958. - August Hinterleitner-Graf, Unter Lauben, Erkern und Schibögen, 1959. - E.Krobath, Die Bürgermeister der Stadt Steyr und ihre Zeit, 1966. - F.X.Pritz, Beschreibung und Geschichte der Stadt Steyr, 1837. - I.Krenn, Häuserchronik der Altstadt Steyr, Diss. 1950)

Amtsblatt der Stadt Steyr Nr. 1/1973